Gastarbajter Opera!

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Die Gastarbeiteroper ist eine Baustelle. Auf dieser Baustelle sind wir die Poliere und die Lehrlinge des Geschmacks. Stück für Stück bauen und stückeln wir sie zusammen. Pfusch natürlich. Es wird schon gehen, das wird schon halten. „nema problema“ oder „ima problema“ (Wiener Baustellenesperanto für: Es gibt Probleme – es gibt keine Probleme)? Die Vorlage (ein ganzes Land: Jugoslawien) und die Subjekte (die Gastarbeiter) sind uns abhandengekommen. Abhandengekommen sind uns auch etwa 100 jugoslawische Arbeiterklubs in Wien. In einer Gemeinschaft wo die Zukunft schon stattgefunden hat, Gott tot war, und die Amen und Omen der brüderlichen Einigkeit gesprochen wurde, sind wir Archäologen und legen Sedimente frei. Die Klubs lagen damals in den Kellern. Mittlerweile sind wir im Erdgeschoss angekommen, aufgestiegen in das „Jugoeckkaffeehaus“. Ins BOEM*. Peripher. Demokratisch, und oft auch ethnisch eindeutig. Anscheinend hat der Sozialismus den politiklosen Arbeiter geschaffen. Ohne Kenntnisse der Sprache kann mensch trotzdem das beste Auto Europas bauen und alle Museen putzen. Ins Eckkaffee kann mensch auch mit dreckigen Händen kommen. Sauber bleibt da niemand. Sterben und begraben werden möchte ich lieber hier. Das sagt die Kellnerin. Am Krieg sind wir zerbrochen. Die schönsten Scherben sind in Wien. Rund um das BOEM* setzen wir sie zu einem schillernden Mosaik zusammen. Das Mosaik, die Fragmente des Zerbrochenen, was wir finden: stellen wir im WUK aus. In der Form unserer Oper. Keiner von uns war jemals in der Oper. Da passiert nichts. Hier schon. In 5 Akten gewähren wir Einblick in die Suche. Beurteilen die Scherben. Manche sind so scharf, dass wir sie in ein anderes Medium verfrachten. Gut das unsere Handschuhe nicht aus Samt sind. Arbeitshandschuhe dienten uns als kulturelle Tarnkappen: Niemand hat uns gesehen. Doch wenn wir uns selbst betrachten, merken wir, dass wir nicht mehr unsichtbar sind. Unsere Rollen haben andere eingenommen. Wir verlassen das Erdgeschoss.

In seiner Einleitung in die Musiksoziologie plädierte Theodor Adorno dafür, sich weniger mit dem musikalischen Ausdruck von Klassenbeziehungen zu beschäftigen, als vielmehr prinzipiell über das Verhältnis der Musik zu den Klassen nachzudenken – und zwar dahingehend, dass in der inneren Struktur der Musik bereits der gesellschaftliche Antagonismus als solcher zum Ausdruck gebracht wird.

Adornos These, wonach die Musik in ihrem inneren Ausdruck bereits als ein gesellschaftlicher Antagonismus strukturiert ist und keinerlei zusätzlicher Klassenanalyse oder Klassenstratifikation bedarf, führt uns zum aktuellen Paradoxon: Zur Gastarbeiteroper. Das Paradoxon der Gastarbeiteroper besteht darin, dass diese Adornos These widerlegt, wonach der Klassenkampf die innere Struktur jeder Musik bildet, vor allem die der Oper. Die Gastarbeiteroper stellt nämlich einen Pol des Klassenantagonismus in den Vordergrund: den Gastarbeiter, eine Figur aus der peripheren Klassenposition der sechziger und siebziger Jahre der europäischen Geschichte.

Der Gastarbeiter ist ein Phantom des Klassenantagonismus, eine Art Unterklasse des Arbeiters, ein temporärer Arbeiter, der abwesend und anwesend zugleich ist: anwesend für die Arbeit, abwesend fürs Leben. Genau genommen bildet er den äußersten Punkt der Entfremdung des Arbeiters: Er hat das Recht auf Arbeit, er hat kein Recht auf das Leben. Diese geradezu periphere Figur der europäischen Geschichte wird heute zu ihrer zentralen Kategorie, denn die Arbeiter des heutigen Europas genießen in doppelter Hinsicht den Gastarbeiterstatus: Jeder Arbeiter ist ein temporärer Gast des Kapitals; Arbeiter zu sein bedeutet, die Position eines Fremden einzunehmen, dem Kapital absolut fremd zu sein. Die aktuellen Vertreibungen von Ausländern aus den europäischen Metropolen sind nichts anderes als Vertreibungen von Arbeitern – beziehungsweise ist es so, dass die Millionen von Arbeitern auf den Straßen keinerlei Effekt produzieren, sie sind vollkommen ausgeschlossen von der Politik, und ihre massenhafte Anwesenheit auf der Straße ist ein Zeichen ihrer absoluten Ausgeschlossenheit aus jedwedem Herrschaftsmechanismus.

Die Gastarbeiteroper ist ein Akt der Formalisierung dieses Moments der notgedrungenen Äquivalenz Gast-Arbeiter-Fremder und seiner Omnipräsenz im Kontext der heutigen europäischen Politik und nichts anderes als ein Zeichen für die Durchbruchstelle einer neuen Form der Politik: der Politik des Arbeiters.

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