Seit über zwei Jahren arbeiten wir im BOEM* an den Schnittstellen, Migration, Klasse, Kunst und Politik. Die Kellnerin wird zur Operndiva, der Kaffeehausgast appropriiert Rene Magritte. Der arbeitslose politische Flüchtling analysiert seine Kriegserfahrung und spricht über das Zusammenleben verschiedenster Kulturen, Nationen und über die gegensätzlichen Lebenskonstruktionen, welche sich im BOEM* täglich treffen. Diese Durchmischung ist Resultat unserer Arbeit.
Dem im mitteleuropäischen Raum dominanten Ansätzen, die meist nur temporär über ihr akademisches Feld wirken können, und dann aufgrund ihrer zeitlich begrenzten Existenz, oft nur Resultate bringen – die dem Anderen nur die Rolle des stigmatisierten passiven Objektes zuschreiben, setzen wir permanente tägliche Arbeit entgegen, welche Ebenen zur Subjektivierung gemeinsam entwickelt. Durch diese Arbeit, wurde aus einem dominant serbischen Lokal, ein interkultureller Raum. Durch die Einbindung in hochkulturelle Produktionen, wie z.b.: unsere Gastarbeiter Opera bei den Wiener Festwochen 2012, oder unsere Ausstellung: „lebt u. Arbeitet in Wien“, wird die Kellnerin zum Star; es entsteht eine gemeinsame Videoarbeit mit einem Stammgast „WAR – without Veterans“, die dann eine multiethnischen Gruppe von Veteranen der Kriege am Gebiet des ehemaligen Jugoslawien fördert, und sich aktiv ihrer Probleme zu stellen versucht. 2011 wurden wir für besondere Leistung im Bereich „interkultureller Dialog“ vom BMUKK ausgezeichnet.
Die komplexen Fragestellungen, welche jedem emanzipatorischen und partizipativen Projekt eingeschrieben sind, aber auch die intellektuelle Distanz – zwischen Theorie und Praxis im Zusammenhang mit Arbeiten im soziokulturellen Topos der/des Anderen, haben uns dazu bewogen, mit hohem Grad an unternehmerischen und ästhetischen Risiko ein klassisches Arbeiterkaffeehaus zu übernehmen, und vorerst auch in der selben ethnischen und ästhetischen Zusammensetzung zu belassen. Unser Lokal ist im 16. Bezirk, und eine Art verlängertes Wohnzimmer einer dominant ex-jugoslawischen Arbeiterschicht. Zusammengesetzt aus allen, jenem geografischen Raum spezifischen Migrationshintergründe, also von Gastarbeiter- bis Kriegskontexten. Unsere Idee, war ein kulturelles Zentrum zu etablieren, welches den kreativen Umgang mit Grenzen fördert. Die Übersetzung von akademischen Diskursen in praktische kulturelle und künstlerische Ansätze. Die Überwindung von Nationalismen, Sexismen und von Rassismus.
Originell ist, das z.b. jetzt teil jener Veteranen, welche die erste serbische Schwulenhochzeit, eingetragene Partnerschaft, in unserer Gallerie stürmen und aufmischen wollte, den selben Raum zur ihrer Selbstanalyse im Umgang mit ihren Traumas nutzt.
Die Einbindung unserer Inhalte und Akteur_Innen im hochkulturellen Bereich ist uns gelungen: Wiener Festwochen 2012, steirischer herbst 2012, life-art Kampnagl Hamburg.
Uns ist wichtig, dass alle Akteur_Innen in unserem Projekt als Subjekte agieren können. Gäste, Angestellte, und Partner_Innen. Ziel ist nicht den Umstand, dass irgendwer „bildungsfern“ ist zu problematisieren, sonder jeden aufgrund ihrer Expertise einzubinden. Dadurch wird außerschulisches und -universitäres Wissen als wertvoll deklariert und ihre Erfahrungen fließen in ein größeres Ganzes ein. Dieses große Ganze ist ein Produkt, welchem eine postnationale Identität inne ist, und das eine kooperative Struktur generiert. Durch Formate und Disziplinen wie: Theater, Vortrag, Performance, Party, Analyse und Dokumentation und einen egalitären Zugang installieren wir eine niedrige Rezeptions- und Handlungsschwelle.
Ziel ist diese Potentiale und Analysen noch besser beschreiben, und sie grösseren Rezipient_Innen anbieten zu können. Ziel ist neben der periodischen Publikation einer Zeitung, die letzte wurde als Beilage zum Augustin produziert (September 2012) auch dokumentarische Medien zu bedienen, und eine wissenschaftliche Rezeption zu fördern. Den Anteil an nicht produktionsbedingten Förderungen zu erhöhen, welche uns auch ermöglichen unsere Erfahrung und Projekte analytisch zu dokumentieren. Das Wissen und die Thesen weiterzugeben.
Durch das bisher sehr erfolgreiche Zusammenarbeiten mit Migrant_Innen, Arbeiter_Innen, jung und alt, haben wir uns ein Vertrauen erarbeitet, das einerseits die Grundlage für neue, dem BOEM* noch nicht bekannte Akteur_Innen ist, andererseits bestehende Kooperant_Innen z.b. homophobe Partybreaker zu einer Gruppe Veteranen transformiert, die ihre Post-Traumatischen-Syndrom auf die Spur folgt. Durch Teilnahme, schlicht durch das Potential oder den konkreten verständlichen Aufruf zur Teilhabe, öffnen sich unserem Zielpublikum eine ihnen vorher nicht zugängliche Welt. Plötzlich arbeiten Serben und Moslems, gemeinsam mit Österreichern – in einer Durchmischung und klassenübergreifend, wie das vorher absolut nicht der Fall war. Zwar es gibt auch immer noch sexistische, rassistische Positionen innerhalb unseres Mikrokosmos, genauso wie politische Gegensätze noch existieren, aber unsere unterschiedichen Aktivitäten und erfolgreiche Kooperationen dekonstruieren gerade diesen „ethnisch-nationalen“ Kontext.
Die Folge eines solchen Projektes sind konkretes Interagieren mit Themen, wie Kriegstrauma, Ausgrenzung und Verdrängung, das Spannungen und Konflikte generiert, welche nur die durchlässige Struktur, gewöhntes Umfeld, im Zaum halten kann, und sie kreativ transformiert.